Besteht Besitz an Daten, die nur in den Arbeitsspeicher geladen werden?

Das OLG Hamburg (2-27/09) hatte festgestellt, dass wer sich kinderpornographische Schriften im Internet mit seinem Browser ansieht, schon beim Betrachten Besitz an Kopien dieser Schriften ausübt, da diese in den Arbeitsspeicher des Computers geladen werden. Eine „Verfestigung“, etwa in Form der Speicherung – sei es unmittelbar im Browser-Cache oder mittelbar durch manuelles Speichern der Bilder – sei nicht nötig. Somit liegt schon beim Betrachten solcher Schriften eine Strafbarkeit nach §184b IV StGB vor.

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Die Feststellungen des OLG Hamburg werden im Folgenden analysiert und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Im Hinblick auf weitere Datendelikte und die allgemeine rechtliche Überlegung, ob ein Besitz an Cache-Dateien begründet sein kann, dürfte die Frage interessant halten. Im Hinblick auf den Besitz von spielt inzwischen diese Frage keine Rolle mehr, da schon das „unternehmen“ der Besitzverschaffung eine Straftat nach einer Gesetzesänderung darstellt.

Strafbarkeit von Besitz

Der §184b IV StGB lautet gekürzt:

Wer es unternimmt, sich den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen […] wird mit bis zu zwei Jahren oder mit bestraft.

Das OLG Hamburg prüft dabei alleine, ob schon Besitz vorliegt – sofern der Besitz ohnehin erreicht wurde, stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob ein „unternehmen“ vorliegt. Die Frage, ob und wie es sich auswirkt, dass der §184b IV StGB ein so genanntes Unternehmensdelikt ist[1. Fischer, §184b Rn.20; Heinrich in NStZ 2005, S.361ff.], stellt sich im Fall der tatsächlichen Besitzbegründung nicht mehr.

Auslegung des Begriffes „Besitz“

Bei der Auslegung des Begriffes Besitz geht das OLG Hamburg in drei Stufen vor, bei denen allesamt der Besitz bejaht wird:

  1. Es wird eine sprachliche Auslegung vorgenommen (im Urteil II 2 c bb aaa)
  2. Sodann folgt die historische Auslegung (im Urteil II 2 c bb bbb)
  3. Zum Abschluss erfolgt die teleologische Auslegung (im Urteil II 2 c bb ccc)

Somit ist, entsprechend dieser Struktur, die Analyse des OLG Hamburg zu prüfen. Dabei ist zu beachten, dass die Frage der Besitzbegründung bei Daten beim Laden in den Arbeitsspeicher seit jeher umstritten ist[2. Der Streit lässt sich dabei nicht auf das übliche Schema Literatur vs. Rechtsprechung reduzieren – sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung finden sich verschiedene Ansichten. Der BGH hat sich zu dieser Frage dabei noch nicht konkret geäußert, lediglich das Verbreiten wurde thematisiert und wird kontrovers angewendet, was noch darzustellen ist.]. Das OLG Hamburg setzt sich dabei mit den gängigen Argumenten auseinander, was die detaillierte Analyse erheblich erleichtert.

Sprachliche Auslegung

Das OLG Hamburg stellt zu Recht fest, dass unter „Besitz“ umgangssprachlich Verfügungsgewalt und Sachherrschaft zu verstehen ist[3. Im Urteil II 2 c bb aaa (1)]. Ausschlaggebend ist dabei das Merkmal tatsächlicher Gewaltherrschaft[4. Im Urteil II 2 c bb aaa (1)]. Diese tatsächliche Gewaltherrschaft wird, auch hier zutreffend das OLG Hamburg[5. Im Urteil II 2 c bb aaa (2)], ab einer gewissen Dauerhaftigkeit und Festigkeit der Beziehung gesehen[5. SK-Wolters, §184b, Rn.13; Sch/Sch, §184b, Rn.15]. Eine „lockere Beziehung“ etwa reicht nicht aus[6. Im Urteil II 2 c bb aaa (2) wird das Beispiel des Fahrgastes gewählt, der keinen Besitz an dem Sitz ausübt, auf dem er im Bus sitzt].

An dieser Stelle vollzieht das OLG aber eine Zäsur[6. Im Urteil II 2 c bb aaa (3)]: Es stellt fest, dass die bisher dargestellten Ausführungen allesamt von der Vorstellung geprägt sind, dass es sich um eine körperliche Sache handelt. Da vorliegend aber mit den digitalisierten Daten ein unkörperlicher Bezugspunkt besteht, muss man dieser Besonderheit auch dadurch Rechnung tragen, dass für solche Daten ein eigenständiger Besitz-Begriff genutzt wird[7. Im Urteil II 2 c bb aaa (3)]:

Daraus ergibt sich das Erfordernis eines spezifischen Besitzbegriffes, der im Kern an den allgemeinen Besitzbegriff anknüpft, aber einzelne Definitionsmerkmale an die Besonderheiten unkörperlicher Gegenstände und ihres Verwendungszusammenhangs anpasst.

Sodann begeht das OLG einen Fehler: Es stellt fest[8. Im Urteil II 2 c bb aaa (3)], dass ein solcher Ansatz vom BGH bereits gegangen wurde bei der Frage, wann ein Verbreiten vorliegt[9. Im Urteil II 2 c bb aaa (3) unter Verweis auf BGH 47, 55, 59 – AZ 1 Str 66/01]. In der Tat hat der BGH auch festgestellt, dass mit Blick auf digitale Daten ein „für diese Form der Publikation spezifischer Verbreitensbegriff“[10. BGH 47, 55 – AZ 1 Str 66/01] erforderlich ist. Doch der BGH hat diese Klarstellung hinsichtlich eines speziellen Punktes getroffen: Der BGH sah sich damit konfrontiert, dass eine Verbreitung von Schriften nur dann vorliegt, wenn diese in ihrer Substanz weitergegeben wird[11. BGH 47, 55 – AZ 1 Str 66/01]. Bei substanzlosen Daten ist dieses Merkmal nicht zu erfüllen, weswegen der BGH einen Weg suchen musste, der keine Verstofflichung benötigt. Das Gelangen der digitalen Schriften in den Rechner ist an dieser Stelle das notwendige Korrektiv, denn der Empfänger kann ab dann über die digitale Schrift verfügen, insbesondere Besitz begründen.

Mit Blick hierauf liegt nahe, dass sich aus der Tatsache, dass der BGH einen „speziellen Verbreitungsbegriff“ festgestellt hat, noch lange keine Aussage hinsichtlich des Besitzes entnehmen lässt. Dennoch fragen manche Stimmen in der Literatur, ob das „sich verschaffen“ nicht zwingend vorliegen muss, wenn das „Verbreiten“ erfüllt ist[11. Fischer, §184b, Rn.21;].

Diese Frage muss verneint werden[12. So auch Heinrich in NStZ 2005, S.361, 364; vormals Harms in NStZ 2003, 648ff.], denn sie verkennt in ihrer Form schon die Aussage des BGH, dass es ja gerade ein auf Daten spezifisch ausgelegter Verbreitensbegriff ist, der auf die Möglichkeit zum Zugriff gerichtet ist. Wer zwingend bei einer Verbreitung auf der einen Seite die Besitzbegründung auf der anderen sieht, zieht Parallelen zum verkörperten Schriftenbegriff und wird der vom BGH geforderten Besonderheit digitaler Daten gerade nicht gerecht, die ja vor allem darin liegt, dass nicht eine konkrete Schrift transportiert wird, sondern jedes Mal identische digitale Abbilder einer ursprünglichen Schrift erstellt werden.

Damit eine Verbreitung bejaht werden kann, muss somit freilich kein Besitz begründet worden sein – er muss vielmehr, abhängig alleine vom Willen Dritter ohne weitere Aktion des Verbreiters, an der erstellen digitalen Kopie möglich sein. Dies liegt beim Ankommen der Datei im Arbeitsspeicher zweifelsohne vor, womit aber noch lange nicht feststeht, dass somit zwingend ein Besitz festgestellt werden muss. Mit Blick auf den BGH ist es somit verfehlt, zwingend einen Besitz zu konstruieren.

Der Ansicht, den Arbeitsspeicher als Besitz begründendes Medium nicht ausreichen zu lassen, liegt vor allem ein Argument zu Grunde[12. Fischer §184b Rn.21b]: Der Arbeitsspeicher ist ein höchst flüchtiges Medium, spätestens wenn der Rechner ausgeschaltet wird oder der Browser geschlossen wird, sind die Daten weg. Der Benutzer muss einen notwendigen Zwischenschritt tätigen, nämlich das manuelle Speichern einer Kopie des im Arbeitsspeicher befindlichen Bildes auf einem permanenten Datenspeicher. Solange sich die Datei aber nur im Arbeitsspeicher befindet, ist keine Dauerhaftigkeit gegeben, ein wesentliches Element der Herrschaft fehlt schlichtweg. Die zu fordernde „gewisse Festigung“[12. SK-Wolters, §184b, Rn.13; Sch/Sch, §184b, Rn.15] ist beim Arbeitsspeicher schlicht nicht gegeben.

Deutlich wird dies, wenn man sich die Handlungsoptionen des Betroffenen (Nutzers) ansieht: Sobald die Datei im Arbeitsspeicher ist, kann der Nutzer bzgl. der konkreten Datei nur eine Handlung treffen: Die Speicherung. Er kann sonst nichts machen, insbesondere nicht eine einzelne Datei löschen oder die Datei in irgendeiner Form weiterverarbeiten. Zwar kann der Nutzer – etwa durch Ausschalten des Rechners – erreichen, dass die Datei nicht mehr im Arbeitsspeicher vorhanden ist, doch der konkrete Zugriff (ohne den gesamten Arbeitsspeicher zu verlieren) bleibt ihm verwehrt.

Somit hat der Nutzer bzgl. der Datei, an der er laut OLG Hamburg Besitz haben soll, nur eine echte Option: Speichern. Erst nach der Speicherung steht dem Betroffenen eine umfassende Verfügungsgewalt zu, die man hinlänglich mit einem besitz verbindet, erst nach der Speicherung kann der Nutzer mit der konkreten Datei nach eigenem Gutdünken verfahren. Vorher verfügt er nicht über die Datei, sondern vielmehr über den Zustand seines Arbeitsspeichers im Allgemeinen. Es wird deutlich, dass alleine aus der Möglichkeit Besitz zu Begründen gleich ein Besitz fingiert wird. Insofern ist es zutreffend, dass das OLG Hamburg selbst von einem „normativen Besitz“ spricht. Ein solch normatives Besitzverhältnis sprengt aber den Wortlaut des „Besitzes“ insgesamt, denn – und das stellt das OLG Hamburg selber fest – Besitz ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis. Schon Begrifflich kann ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis nicht normativ begründet werden. An dieser Stelle hat das OLG Hamburg somit die Grenzen des Wortsinns verlassen, eine verbotene Analogie begründet.

Das OLG ist sich dieses Problems bewusst und versucht eine Lösung zu konstruieren[8. Im Urteil II 2 c bb aaa (4) a.E.]: Es wird darauf hingewiesen, dass zur Verfestigung zwar ein weiterer Teilakt (das Abspeichern) notwendig ist – aber auch zum Löschen soll ein weiterer Teilakt notwendig sein, nämlich das bewusste Verlassen der Webseite, Schließen des Browsers oder Ausschalten des Rechners:

Denn ein zweiter Teilakt ist regelmäßig auch notwendig, wenn sich der Computernutzer entschließt, die Datei nicht abzuspeichern; er muss nämlich dann den Computer in entsprechender Weise bedienen, um die betreffende Internetseite zu verlassen. Für welche Dauer er die Datei im Arbeitsspeicher belässt, wird durch ihn bestimmt. Das Merkmal der Dauer ist mit Hinblick auf die dem Aufrufen und Weiterverarbeiten von Computerdateien eigentümliche Schnelligkeit des Mediums ohnehin nachrangig.

Nun ist hierbei aber festzustellen, dass das OLG verkennt, worauf sich das Bewusstsein des Nutzers bezieht[9. Besitz ist nicht nur ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, sondern setzt auch einen dieses tragenden Herrschaftswillen voraus]. Im Fall der Speicherung des konkreten Bildes hat der Nutzer ein Bewusstsein hinsichtlich der speziellen Daten und begründet mit diesem Bewusstsein den Herrschaftswillen. Beim Schließen des Browsers oder gar Ausschalten des Rechners hat der User keine konkreten Einzeldaten vor Augen: Er weiß, dass der Arbeitsspeicher insgesamt geleert sein wird, dass sich der Zustand des Mediums insgesamt verändert. Alleine auf die Tatsache abzustellen, dass Zwischenschritte notwendig sind, ist insofern nicht überzeugend.

Besonders deutlich wird dies, wenn man auch die Wirkungsweise betrachtet: Die Speicherung der jeweiligen Datei aus dem Arbeitsspeicher auf ein permanentes Medium ist eine unmittelbare Einwirkung. Wenn aber der Arbeitsspeicher geleert wird, ist dies nur eine mittelbare Folge – der Nutzer leert ja nicht den Arbeitsspeicher direkt, sondern begeht erst eine Aktion (etwa: Ausschalten des Rechners) und in deren Folge wird automatisch – als Folge der fehlenden Verfügungsgewalt – der Arbeitsspeicher geleert, somit zwingend die konkrete Datei gelöscht. Daher ist es abzulehnen, wenn das OLG Hamburg feststellt:

Der Nutzer allein hat unbeeinflusst durch den Anbieter in der Hand, wie er die Datei verwendet.

Der Nutzer hat vielmehr unbeeinflusst durch den Anbieter in der Hand, ob er die Datei verwendet – was wiederum, wie soeben dargestellt, notwendige Bedingung der Verbreitung ist, die wiederum notwendige Bedingung der In-Besitznahme ist. Doch, wie oben schon ausgeführt wurde, handelt es sich hierbei um notwendige, nicht hinreichende Bedingungen. Auch wenn der Benutzer über die Datei verfügen könnte, so heißt das nicht zwingend, dass er es auch tut. Das Ergebnis dieser normativen Konstruktion eines Besitzverhältnisses ist, wie man eindrücklich bei OLG Hamburg sieht[12. Siehe oben Randnummer 9], dass selbst wenn man gerade nicht verfügt und als Folge dieser Nicht-Verfügung die Datei automatisiert und unwiederbringlich gelöscht wird, ein Besitz fingiert wird. Dass man aber durch Nicht-Ausüben eines Herrschaftsverhältnisses gerade ein Herrschaftsverhältnis begründet, verlässt erneut den möglichen Wortsinn des „Besitzes“ und verstößt gegen das Analogieverbot.

Historische Auslegung

Die historische Argumentation des OLG Hamburg[20. Im Urteil II 2 c bb bbb] soll dienen, darzustellen dass eine Entwicklung des Besitz-Begriffs vor den Gesetzesänderungen geboten ist. Hierbei ist festzustellen, dass das OLG Hamburg das Konsumieren als Ausgangspunkt nimmt um einen neuen Blick auf den Besitz zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber wollte den Konsum erheblich einschränken und die gesetzliche Entwicklung

zeigt zum einen, dass der Gesetzgeber jede ihm damals bekannte Form von Besitz unter Strafe stellen wollte, um den Markt für kinderpornographische Produkte „auszutrocknen“. Sie zeigt des Weiteren, dass er besonders den Besitz solcher Medien mit Strafbarkeit belegen wollte, die die Gefahr der Vervielfältigung und damit der Weiterverbreitung in sich bergen.

Doch sind die vom OLG Hamburg angestellten Überlegungen ein Zirkelschluss: Das OLG Hamburg stellt zwar – zu Recht – fest, dass der Besitz stärker sanktioniert werden sollte. Deswegen aber gleich den Besitzbegriff auszudehnen, bis hin zum Konsumieren das angeblich nicht mehr besitzlos stattfinden können soll, erscheint höchst fragwürdig und nur rechtspolitisch motiviert.

Dem OLG ist zuzustimmen in der Analyse, dass der Gesetzgeber die Gefahr der massenhaften Verbreitung durch die leichte Vervielfältigung digitalisierter Daten vor Augen hatte. Doch der Anknüpfungspunkt ist dabei der Besitz als solcher, der Voraussetzung für die Vervielfältigung ist. Wenn das OLG nun den Besitz fingiert, fingiert es auch Vervielfältigungsmöglichkeiten, die nicht bestehen. Wie bereits festgestellt, hat der Nutzer bei einer Datei im Arbeitsspeicher nur die Möglichkeit, diese überhaupt erst lokal zu speichern – um sie nach der Speicherung dann nach Belieben Vervielfältigen und Verbreiten zu können.

Das OLG Hamburg kommt also Rahmen der historischen Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber „jede Form von Besitz“ unter Strafe stelle wollte – und definiert kurzerhand deswegen den Nicht-Besitz als eine Form von Besitz.

Teleologische Auslegung

Einzig die teleologischen Überlegungen des OLG Hamburg vermögen zu überzeugen: Es liegt in der Tat auf der Hand, das der Gesetzgeber dem breiten gesellschaftlichen Bedürfnis einer umfassenden Pönalisierung kinderpornographischer Schriften Rechnung tragen will. Auch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass gerade die fehlende Strafbarkeit der reinen Betrachtung das gesetzgeberische Ziel konterkarieren wird, denn die Anbieter entsprechender Schriften profitieren hier ungemein anstatt gebremst zu werden:

Allenfalls verdienten sie an nicht speichernden Konsumenten mehr, weil diese nicht auf einen eigenen „Vorrat“ an kinderpornographischen Darstellungen zurückgreifen könnten, sondern immer wieder neue Seiten aufrufen müssten, sobald sie den Wunsch hätten, Kinderpornographie zu betrachten.

Doch so überzeugend die teleologischen Argumente auch sein mögen: Sie helfen nicht darüber hinweg, dass der mögliche Wortsinn des „Besitzes“ längst überschritten wurde. Darüber hinaus lässt das OLG bei seiner Analyse des „Willens des Gesetzgebers“ einen gewichtigen Aspekt außen vor: Bei der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes, das den Blick u.a. auf kinderpornographische Schriften verhindern sollte, hat der Gesetzgeber ganz bewusst auf die Möglichkeit verzichtet, die IP-Adressen derjenigen zu erfassen, die versuchen solche Schriften anzusehen. Der Gesetzgeber hat hier deutlich gemacht, die nur betrachtenden Konsumenten eben nicht um jeden Preis der Pönalisierung auszusetzen – die ansonsten überzeugenden Argumente des OLG Hamburg weisen an dieser Stelle eine eklatante Lücke auf. Eine Vertiefung dieser Frage ist hier indes nicht nötig, da die teleologischen Argumente den Verstoß gegen das Analogieverbot nicht heilen können.

An dieser Stelle ist somit festzuhalten, dass das OLG Hamburg bei seiner extensiven Auslegung des Begriffes „Besitz“ die Grenzen des Wortsinns überschritten hat und den Bestimmtheitsgrundsatz verletzte.

In höchstem Maße bedenklich ist es, dass das Urteil des OLG Hamburg Ausführungen zum Besitzwillen vollständig vermissen lässt – was letztlich auch zwingend ist, denn wo Besitz normativ fingiert wird, besteht schon gar keine Notwendigkeit mehr, die subjektive Komponente eingehend zu prüfen. Umso bemerkenswerter ist dies, da das OLG Hamburg in einer vorherigen Entscheidung die Notwendigkeit eines Besitzwillens betont hat[22. OLG Hamburg 1-53/08] als es unter Beachtung der BGH-Rechtsprechung zum Besitz feststellte:

Dies setzt nicht nur einen auf eine gewisse Dauer angelegten tatsächlichen Zugang zur Sache, sondern auch einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. BGHSt 26, 117, 188).

In selbigem Urteil stellte das OLG Hamburg fest, dass bei Speicherung in einem Cache der Besitzwille dennoch verneint werden kann, wenn der Nutzer von Anfang an seinen Willen darauf gerichtet hatte, umgehend nach Nutzung den Internet-Cache zu löschen[22. OLG Hamburg 1-53/08]. Diese, von der Literatur[22. Sch/Sch, §184b, Rn.15] getragene, Feststellung wird im vorliegenden Urteil des OLG Hamburg nicht einmal mehr thematisiert. Gerade da der Vorsatz im Rahmen des §184b IV StGB als Filterkriterium gilt, der nach mancher Auffassung gar im Regelfall die Verurteilung verhindern wird[22. Harms in NStZ 2003, S.646, 650], bleiben hier mehr Fragen als Antworten angesichts des Urteils aus Hamburg.

keine Strafe ohne Gesetz

Es stellt sich darüber hinaus auch die Frage, ob diese Art der Auslegung nicht noch gegen den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ verstößt. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass schon das Betrachten bestraft wird, während das Gesetz ausdrücklich den Besitz unter Strafe stellt. Da hier das Betrachten als Vorstufe zum Besitzverschaffen vorgeschaltet ist, eine Versuchsstrafbarkeit des §184b IV StGB aber nicht vorgesehen wird, steht zu befürchten, dass das OLG einen Straftatbestand anwendet, der nicht existiert: Der Versuch des Unternehmens zur Beschaffung von kinderpornographischen Schriften.

Mit Blick auf den Tatablauf stellt sich mit dem OLG Hamburg eine schwierige Sachlage dar: Der tatgeneigte Täter, der gerade um Besitz zu vermeiden, am Rechner (mit ausgeschaltetem Browser-Cache) digitale Schriften betrachtet, hat diese Schriften in „Greifweite“, ist sich aber bewusst, erst noch einen notwendigen Zwischenschritt tun zu müssen, um darüber wirklich frei verfügen zu können. Dieser notwendige Zwischenschritt aber ist die Schwelle zum „jetzt geht's los“, ohne diesen Zwischenschritt tritt der Nutzer nicht einmal in ein Versuchsstadium ein. Dies ist letztlich auch der Grund, warum nicht der Besitz alleine, sondern vielmehr das Unternehmen sich Besitz zu verschaffen, unter Strafe steht. Der Gesetzgeber schafft so eine Versuchsstrafbarkeit.

Dadurch dass der §184b IV StGB ein Unternehmensdelikt ist, bedeutet dies, dass schon das zielgerichtete Vorgehen zur Besitzerlangung strafbar ist – der Versuch der Besitzerlangung ist vom Tatbestand also umfasst[22. Fischer, §184b, Rn.20]. Doch setzt dies ein zielgerichtetes Handeln, ein „Betrachten zur Besitzbegründung“ voraus. Wer gerade um eine Besitzbegründung zu vermeiden nur betrachtet und gerade nicht vorhat entsprechende Dateien dauerhaft zu speichern, wird hiervon nicht erfasst. Eben dies ist dann auch die Lücke, die das OLG Hamburg geschlossen sehen will.

Wie dargestellt schafft das OLG Hamburg dadurch, dass der „Nicht-Besitz“ als andere Form von Besitz konstruiert wird, eine Vorverlagerung. Dies ist schon begrifflich zwingend, denn wer normativ einen Besitz fingiert, greift dem tatsächlichen Besitz zeitlich vor. Das Ergebnis ist nicht die Strafbarkeit des Unternehmens sich Besitz zu verschaffen, sondern bestenfalls des Versuchs, sich Besitz zu verschaffen. Es steht also ein versuchtes Unternehmensdelikt im Raum.

Der Versuch eines Unternehmensdelikts ist aber ein Zirkelschluss, der im Ergebnis uferlos wird:Das „Unternehmen einer Tat“ ist laut §11 Nr.6 StGB deren Versuch und Vollendung. Wer nun den Versuch des Unternehmens annimmt, bezieht sich letztlich bei der Begriffsbestimmung wieder auf den Versuch – wäre ein solcher Bezug möglich, wäre der Versuch des Versuchs sowie dessen Versuch strafbar[22. Jakobs, Strafrecht AT, 25/5]. Das Ergebnis ist eine uferlose Strafbarkeit ohne Grenzen, die letztlich dazu führen würde, dass schon der Beginn des erfolglosen Suchens nach verbotenen Bildern strafbar wäre[22. Fischer, §184b, Rn.21c], also der Gedanke an sich schlechthin. Die Konstruktion eines „versuchten Unternehmensdliktes“ ist daher im Ergebnis nicht möglich[22. Jakobs, Strafrecht AT, 25/5; Roxin AT2, 29/345].

Eben dies war auch der Grund, warum das LG Stuttgart[22. LG Stuttgart in NStZ 2003, S.36f.] die Strafbarkeit beim Laden in den Arbeitsspeicher verneint hat: Es sah die Kriminalisierung der Vorstufe des Unternehmens zum Beschaffen.

Diese Grenze durchbricht das OLG Hamburg aber mit seiner Argumentation – es missachtet damit den Grundsatz, dass Strafe Gesetz voraussetzt. Auf die Frage, ob es sich hier wirklich um eine Versuchsstrafbarkeit oder nicht gar eine Vorbereitungsstrafbarkeit handelt, kommt es letztlich nicht mehr an: Wenn schon die Versuchsstrafbarkeit nicht möglich ist, scheitert die Vorbereitungsstrafbarkeit gleichsam.

Fazit der Entscheidung des OLG Hamburg

Im Fazit steht die Erkenntnis, dass das OLG Hamburg schlicht zu weit geht: Die Grenze zwischen strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch wird ohne gesetzliches Fundament aufgebrochen. Bei dem Versuch dies zu legitimieren übersieht das OLG Hamburg die eindeutige Tendenz des Gesetzgebers, Konsumenten die am Bildschirm entsprechende Schriften betrachten, gerade nicht zielgerichtet zu Verfolgen. Sprachlich ist weiterhin fraglich, wie ein tatsächlicher Zustand wie der Besitz sich in der Lebenswirklichkeit normativ darstellen soll – das Urteil des OLG Hamburg ist dabei ein gelungenes Beispiel für die damit eröffnete Uferlosigkeit der Strafbarkeit. Wenn schon Besitzdienerschaft nicht ausreichen kann[22. Sch/Sch, §184b, Rn.15] weil die faktische Herrschaft beim tatsächlichen Besitzer liegt – dann muss man auch diese digitale Variante der Besitzdienerschaft entsprechend behandeln.

Es bleibt, nicht zuletzt mit Blick auf den Anfang des Urteils, der fade Beigeschmack, dass das Gericht sich von dem zurückgezogenen Geständnis des Angeklagten hat leiten lassen: Dieser hatte zuerst gestanden, die Dateien zumindest über den Cache gespeichert zu haben, hat dies aber später widerrufen. Das OLG macht sehr deutlich klar, dass es hier erhebliche Zweifel sieht. Dementsprechend bemerkenswert ist die Vehemenz mit der ein „normativer Besitz“ konstruiert werden soll. Verdeutlicht wird dies dadurch, dass das OLG Hamburg nicht nur kommentarlos seine bisherige Rechtsprechung[22. OLG Hamburg, 1-53/08] aufgibt um einer älteren Tendenz zu folgen[22. Die Argumentation stammt ursprünglich vom OLG Schleswig aus dem Jahre 2005, 2 Ws 305/05]; sondern darüber hinaus durch die Tatsache, dass das OLG Hamburg die von ihm selbst aufgeworfene Problematik des Besitzwillens bei automatischer Speicherung nicht mehr weiter verfolgt.

Damit schafft das OLG Hamburg für die Lebenswirklichkeit ein erhebliches Problem: Wenn schon der Arbeitsspeicher als temporäres Medium den Besitz konstruiert, wie ist es dann mit Fernsehern[22. SK-Wolters, §184b, Rn.13; Hamrs in NStZ 2003, 646ff.]? Gerade mit Blick auf auch am – und sogar im! – Fernseher vorhandenen Aufnahmemöglichkeiten und der damit verbundenen Möglichkeit etwa „Pause“ zu drücken oder die Sendung mit einem kurzen Zwischenschritt aufzunehmen, werden bedenkliche Fragen aufgeworfen, die das OLG Hamburg sicherlich nicht vor Augen hatte.

Das Betrachten der Schriften ist nicht Teil des Tatbestandes[22. Sch/Sch, §184b, Rn.15] – Richtigerweise ist damit nicht auf das Gelangen der Daten in den Arbeitsspeicher alleine abzustellen: Entweder der Täter lädt die Daten in den Arbeitsspeicher um diese gezielt abzuspeichern, etwa beim Nutzen des Browser im „privaten Modus“ und dem geplanten manuellen Speichern ausgewählter Bilder. Oder man stellt darauf ab, dass tatsächlich gespeichert wurde[22. SK-Wolters, §184b, Rn.13], sei es auch im Rahmen von auf der Festplatte abgelegten Cache-Dateien[22. SK-Wolters, §184b, Rn.13].

Ausblick: Besitz an Dateien im Cache

Als Ausblick bleibt die Feststellung, dass es alleinige Aufgabe des Gesetzgebers ist, Straftatbestände zu schaffen. Im §184b StGB sind zahlreiche Tatmodalitäten zu finden, aber ausgerechnet das laut OLG Hamburg unbedingt gewollte „einfache Konsumieren“ in Form des Betrachtens gehört nicht dazu. Sollte der Gesetzgeber schon das Betrachten ohne dauerhafte Speicherung erfassen wollen, so ist es seine Aufgabe, dies als weitere Tatmodalität in den Katalog aufzunehmen, nicht aber die eines Gerichts.

Die Rechtsfrage der Bedeutung des Arbeitsspeichers an sich wird in Zukunft zunehmend eine Rolle spielen, die Idee des „normativen Besitzes“ erhebliche Auswirkungen haben. Dabei ist an folgende Probleme zu denken:

  1. Jemand nutzt zielgerichtet die „Private Browsing“ Funktion seines Browsers und keinerlei Daten werden im Festplatten-Cache gespeichert. Gerade diese „Privat“-Funktion, die inzwischen bei allen grösseren Browsern vorhanden ist, wird das Thema im Alltag verschärfen – gepaart mit der Tatsache, dass einerseits zunehmend pornographische Webseiten nach dem Vorbild von entstehen, andererseits weltweit die Staaten dazu tendieren auch jugendpornographische Schriften zu sanktionieren. Die Möglichkeit, ohne Cache beim Konsum erlaubter Pornographie mit sanktionierten Schriften konfrontiert zu werden, steigt vor diesem Hintergrund zunehmend an.
  2. Im Rahmen virtueller Lösungen, bei denen der Nutzer vielleicht nur noch an einem PC sitzt, der nur noch als Durchleitung von Daten ohne lokale Speicherung verstanden werden kann, wird sich die Frage des Besitzes bei nicht dauerhafter Speicherung ganz besonders stellen.
  3. Gerade da zunehmend IT-Lösungen ausgelagert werden – Stichwort „Cloud Computing“ – liegen die Daten meistens gar nicht mehr auf einem dauerhaften Datenträger des Nutzers vor. Wer sich etwa nur mittels einem Browser im privaten Modus in sein IMAP-Postfach einloggt um dort entsprechende Schriften zur Kenntnis zu nehmen, liest die Daten auch nur in den Arbeitsspeicher ein

Festzustellen ist daher, dass diese auf den ersten Blick sehr spezielle Frage letztlich eine Detailfrage von zunehmender Bedeutung ist, die dringend einer rechtsstaatlichen Betrachtung bedarf. Nicht zuletzt, weil hier in erheblichem Maße ein (digitaler) Alltag berührt wird, der eine breite Masse betrifft.

Update: Prof. Müller hat ebenfalls eine Analyse des Urteils erfasst, erschienen in der MMR 5 /2010 und zu finden hier.


Ag Backnang: Besitz an Daten im Browser-Cache

Eine schon alte und kontroverse Streitfrage wurde nun vom Amtsgericht Backnang (2 Cs 27 Js 61608/13) aufgegriffen: Es geht um die Frage, ob das reine Betrachten kinderpornographischer Werke (im Wege des Streaming), ohne Download der Filmdatei, strafbar ist. Die Streitfrage entzündet sich dabei daran, ob die notwendiger Weise zum Anzeigen „im Cache“ abgelegten Daten bereits eine Besitzerlangung des Benutzers darstellen. Da der Besitz strafbar ist, könnte auf dem Wege eine – zumindest vermeintliche – Strafbarkeitslücke geschlossen werden.

Die Rechtsprechung hierzu wurde vornehmlich in den letzten Jahren durch den BGH und einzelne OLG geprägt. Ich habe die Rechtsprechung zum Thema hier zusammengefasst, wobei in technischer Hinsicht (bis heute) meine Kritik da ansetzt, dass die Rechtsprechung zu oft unsauber definiert, welcher Cache überhaupt gemeint ist. Jedenfalls beim Browser-Cache auf der Festplatte wurde, auch vom BGH, eine Besitzerlangung angenommen.

Hinweis: Diese Frage hat nichts mit der Frage der Urheberrechtsverletzung beim Streaming zu tun (siehe unten). Der Besitz im strafrechtlichen Sinne, hier speziell bei dem betroffenen Delikt, ist eigenständig und nicht auf das Urheberrecht zu übertragen.

AG Backnang zur Besitzerlangung beim Betrachten

Das AG Backnang hat, unter ausdrücklicher Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, nunmehr entschieden, dass keine automatische Besitzerlangung vorliegt. Richtigerweise fragt das Amtsgericht hier nämlich, ob überhaupt ein Besitzwille bei dem betreffenden Nutzer vorlag:

Das Aufrufen sowie das Betrachten und die Kenntnis von der automatischen Speicherung im Browsercache besagt nichts darüber, dass der Angeklagte auch tatsächlich im Sinne von § 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB besitzen wollte (Burmeister/Böhm, StV 2009, 469). Erforderlich ist nicht nur ein auf eine gewisse Dauer angelegter tatsächlicher Zugang zur Sache, sondern auch ein Besitzwille, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten. Anhaltspunkte, auf die eine dementsprechende Feststellung gestützt werden könnte, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.

Interessant wird dann der Umgang mit besagter BGH-Rechtsprechung. Dabei ging es vorliegend um eine spezielle Konstellation: Der betroffene PC wurde auf Grund eines anderen Tatvorwurfs durchsucht, hierbei vereinzelte Dateien mit strafbarem pornographischen Inhalt (in den Cache-Dateien) gefunden. Der Besitzer aber erklärte, dass dieser Rechner gebraucht auf dem Flohmarkt erworben wurde und er niemals entsprechende Seiten aufgerufen. Dies konnte die Staatsanwaltschaft nicht widerlegen – und hier setzt dann das Gericht an.

So wird etwa klargestellt, dass die bisherigen Sachverhalte zum Thema beim BGH nicht vergleichbar waren:

So stand in dem vom BGH entschiedenen Fall fest, dass der dortige Angeklagte die kinderpornographischen Dateien manuell von der Festplatte seines Laptops gelöscht hat, woraus sich wiederum ergab, dass ihm das Vorhandensein dieser Dateien bewusst war; entweder weil er sie selbst aus dem Internet heruntergeladen hatte oder diese Dateien durch deren Aufruf auf entsprechenden Internetseiten automatisch im Cache-Speicher des Laptops auf dessen Festplatte abgespeichert wurden.

Auch spielt es eine Rolle, ob festgestellt ist, dass zielgerichtet solche Seiten aufgerufen werden oder nicht:

Zudem stand fest, dass der Angeklagte an verschiedenen Tagen gezielt Seiten mit entsprechenden pornographischen Inhalten gesucht und aufgerufen hat. An solchen Feststellungen fehlt es im hier zu entscheidenden Fall dagegen in Gänze. Weder ist feststellbar, dass der Angeschuldigte für das Gelangen der Dateien auf den bei ihm sichergestellten PC verantwortlich ist noch lässt sich feststellen, dass er es war, der die Dateien später gelöscht hat. Auch lässt sich anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht feststellen, dass gezielt nach pornographischen Inhalten mit strafrechtlicher Relevanz gesucht wurde, wobei es selbst beim Vorhandensein entsprechender Anhaltspunkte problematisch wäre, dies als den Beginn eines Sich-Verschaffens zu qualifizieren

Fazit

Die Entscheidung des AG Backnang stellt eine korrekte Umsetzung der bisherigen BGH-Rechtsprechung dar und zeigt auf, wo kritische Gratwanderungen liegen. So kann einerseits, je nach Einzelfall, der Vortrag man habe die Browserdaten gelöscht, gefährlich sein – andererseits aber auch gerade nicht. Dass es Besitzbewusstsein, einen Besitzwillen, geben muss, wird in der Praxis gerne „lebensnah“ angenommen. Hieran ändert auch die vorliegende Entscheidung nichts; Vielmehr ist abzusehen, dass in dem Fall, in dem solche Seiten zielgerichtet aufgerufen werden, vollkommen anders entschieden werden wird.


BGH Zur Besitzerlangung bei im Cache befindlichen Dateien

Die BGH-Entscheidung 1 Str 430/06 zum Sexualstrafrecht ist inhaltlich heute vielen bekannt: Besitz an Dateien wird schon begründet, wenn diese nur im Cache gespeichert waren, ohne dass eine zielgerichtete Speicherung der Dateien erfolgte. Nicht zuletzt wegen dieses Urteils sind manche User verunsichert und raten u.a. dazu, den Cache des Browsers ganz auszuschalten.

Eine Entscheidung des HansOLG (1-53/08, 1 Ss 180/08; Fundstelle u.a.: StraFo 4/09, S.165) bringt nun etwas Lebensnähe in das scheinbar uferlose Urteil des BGH: So ist ausdrücklich ein Besitzwille des Betroffenen festzustellen. Dies ist insbesondere zu verneinen, wenn die Daten umgehend gelöscht werden, sei es manuell durch den Betroffenen oder auch systembedingt. Hierzu verweist das HansOLG auf den Beschluss des BGH, der die Strafbarkeit des Betroffenen begründet,

weil es ihm möglich ist, jederzeit diese Dateien wieder aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht wurden.

Das heißt erst einmal, ob man einen Cache ganz ausschaltet oder (wie beim Firefox möglich) mit dem Schließen des Browsers den Cache löschen lässt, kommt aufs gleiche raus – solange auch wirklich gelöscht wird. Interessant sind vor diesem Zusammenhang Fragen nach dem Löschvorgang: Wie sieht es etwa aus, wenn Dateien zwar gelöscht sind, aber problemlos mit „undelete“-Tools wiedergeholt werden können? Das reine verschieben in den Papierkorb dürfte im übrigen nicht unter „Löschen“ fallen, da die Dateien ja noch da sind, nur an einem anderen Ort des Systems.

Alles in allem ein bisher wenig beachtetes Urteil, das durchaus mehr Beachtung verdient.


Ag Bocholt: Besitz jugendpornographischer Bilder durch Cache

Das Amtsgericht Bocholt (3 Ds – 540 Js 100/16 – 581/16) konnte sich mit der Bestrafung wegen des Besitzes jugendpornographischer Bilder auseinandersetzen und hierbei feststellen, dass eine solche auf Vorsatzebene nur in Betracht kommt, wenn entweder das jugendliche Alter der Person bekannt ist oder diese ganz offensichtlich nicht volljährig sind. Das bedeutet im letztgenannten Fall, dass diese Personen so kindlich wirken müssen, dass sie „fast schon in die Nähe des Besitzes kinderpornographischer Schriften fallen“:

Das führt hierzu aus, dass weder an Hand der körperlichen Merkmale noch durch eine Analyse von Gesichtszügen die Unterscheidung zwischen einer 16- oder 17-jährigen oder einer 18- jährigen Person mit hinreichender Zuverlässigkeit getroffen werden kann. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allein vom optischen Eindruck her eine Unterscheidungsmöglichkeit nicht besteht (Vergleiche Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 06.12.2008 – 2 BVR 2369,2380/08 zitiert nach Beck RS 2009). Eine Strafbarkeit ist deshalb nur dann gegeben, wenn die dargestellten Personen ganz offensichtlich nicht volljährig sind, etwa dann, wenn sie fast noch kindlich wirken und somit in die Nähe des Straftatbestandes aus § 184 b StGB (Kinderpornographie) fallen (…)

Die Entscheidung ist Wichtig, sie demonstriert die rechtliche Unsicherheit im Bereich der Jugendpornographie und wie damit bei Gerichten umzugehen ist; im Zweifelsfall muss der Gesamteindruck der betrachteten Person derart kindlich wirken, dass damit im Umkehrschluss schon zwingend eine jugendpornographische Szene im Raum steht.

Auch zum Thema „Besitz an Daten“ äussert sich das Gericht und stellt sich der bisherigen Rechtsprechung auffallend kritisch entgegen. So führt das Gericht aus, dass wenn auf einem Computer kinderpornographische Bilder nur im so genannten Cache gespeichert sind bereits der Besitz zweifelhaft sein soll. Denn zumindest beim durchschnittlichen Nutzer kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm die Existenz der Datenspeicherung im Cache geläufig war und er wusste, wie diese Daten gelöscht werden können, so dass für das Gericht der Vorsatz entfällt. Tatsächlich gibt es inzwischen zahlreiche Entscheidungen, die es anders sehen – das Amtsgericht führt aber (wohl auf Grund eigener technischer Kenntnis) recht zielgerichtet aus, warum es diese Auffassung nicht teilen möchte. Hierbei stellt das Gericht auch klar, dass es ein beträchtliches Risiko sieht, dass Dritte arglose Nutzer in eine Strafbarkeit verleiten, indem inkriminierte Links verteilt werden.

Die Entscheidung überzeugt und macht zugleich deutlich, wo beträchtliches Verteidigungspotential liegen kann, jedenfalls in den Fällen, in denen es um eine überschaubare Anzahl von Bildern geht.

Aus der Entscheidung des Gerichts zur Thematik der Strafbarkeit des Vorhaltens von Daten im Cache:

Auch wenn ein Besitz im Sinne von § 854 Abs. 1 BGB an elektronischen Vervielfältigungsstücken wie beispielsweise elektronisch gespeicherten Bildern nicht besteht, ist unter dem Begriff Besitz im StGB im Zusammenhang mit Fotos verstehen, dass der Angeschuldigte jederzeit ähnlich wie ein Besitzer von körperlichen Gegenständen Einwirkungsmöglichkeit auf die Bilder haben muss (Vergleiche BGH, NJW 2016, 1094, 1095). Hieran sind Zweifel angebracht, da sich die inkriminierenden Fotos auf einem Bereich der Festplatte befanden, auf den jedenfalls der normale Nutzer keine Zugriffsmöglichkeiten hat. Aus der Pfadbeschreibung der jeweiligen Fotos ergibt sich, dass diese unter dem Namen des Angeschuldigten/AppData/Local/Microsoft/Windows/TemporaryInternetFiles/Low/Content befunden haben. Sie befinden sich damit in einem Bereich, in dem der Nutzer nicht bewusst Daten speichern kann, sondern in dem das Betriebssystem Windows automatisch, ohne Einwirkungsmöglichkeit des normalen Nutzers Daten speichert. Aus dem Pfad geht also zunächst einmal nur hervor, dass der Angeschuldigte oder eine dritte Person, die Zugang zu dem Rechner hatte, diese Bilder betrachtet hat und dann die Daten automatisch gespeichert wurden. Öffnet somit der Nutzer eine X-beliebige Internetseite über seinen Browser so wird diese im Hintergrund gespeichert mit dem Ziel, dass, wenn der Nutzer zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf die Seite, hier also die inkriminierenden Bilder, zugreift, diese schneller aufgebaut werden könnten und nicht nochmal heruntergeladen werden müssten (Vergleiche Was ist Cache leeren http://praxistipps.chip.de/was-ist-cache-leeren-einfach-erklaert_41811 Stand 23.03.2017). Die Funktion wurde in das Betriebssystem Windows Anfang der 2000er, als die Datenverbindungen langsam waren und es noch keine Flatrates gab, sondern die Kosten entsprechend dem Trafic erhoben wurden, implementiert .

Wie der Name Cache schon sagt, bedeutet dies nicht, dass der Nutzer auf diese Daten unmittelbaren Zugriff hat, sondern Cache bedeutet so viel wie „verstecken“. Er wird verwendet, da die im Cache gespeicherten Daten selbst vor dem Nutzer versteckt werden (Vergleiche: Was ist Cache a.a.O). Entsprechend hat der Nutzer auf die im Cache gespeicherten Daten zunächst einmal keinen Zugriff, denn in der normalen Verzeichnisstruktur ist der Pfad „AppData“ nicht sichtbar. Diese Daten werden nur angezeigt, wenn die Funktion „geschützte Systemdateien ausblenden“ deaktiviert wird und dafür die Funktion „versteckte Dateien und Ordner anzeigen“ aktiviert wird (Vergleiche: Verstecke Dateien anzeigen, http://praxistipps.chip.de/versteckte-dateien-in-windows-7-anzeigen_1282 , Stand 23.03.2017). Vor diesem Hintergrund ist der Besitz zweifelhaft.

Selbst wenn man dies vorliegend annehmen würde, so reicht allein der Umstand, dass in einem automatischen Verfahren kinderpornographische Inhalte auf der Festplatte des Nutzers gespeichert wurden zum Nachweis des Besitzwillens nicht aus (Vergleiche Gercke in Spindler/Schuster Rechte der chronischen Medien, dritte Auflage 2015 § 184 b StGB Randnummer 25). § 184b ist kein Unternehmensdelikt denn § 184b Abs.1 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 StGB setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Bilder voraus mit der Möglichkeit, die Bilder sich und anderen zugänglich zu machen. Dies muss vorsätzlich geschehen, wobei der Vorsatz als direkter oder bedingter Vorsatz gegeben sein muss. Wusste der Angeklagte nicht, dass die Bilder im Cache gespeichert werden, so setzt die Strafbarkeit erst ein, sobald der Angeschuldigte erkennt oder aber billigend in Kauf genommen hat, dass er Kinderpornographie besitzt und den Besitz gleichwohl fortsetzt (OLG Oldenburg, Urteil vom 29.11.2010 – 1SS166/10 zitiert nach Beck RS 2010).

In Zeiten des Cloud Speichers, in der üblicherweise insbesondere auch Bilder privater Natur im Netz gespeichert werden, erscheint diese Funktion wie ein Antagonismus. Anders als noch vor 10 Jahre, als die Nutzer bereits im praktischen Betrieb erkennen konnten, dass Bilder im Cache gespeichert wurden, beispielsweise am schnelleren Seitenaufbau oder der Nichtbelastung des mit dem Provider vereinbarte Datenvolumens, ist dies in der heutigen Zeit aus den vorgenannten Gründen nicht mehr erkennbar. Auf das Datenvolumen braucht der Nutzer heutzutage bei einer Flatrate nicht zu achten und die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus ist beim Hightspeedinternet ebenso schnell wie beim Herunterladen von der Festplatte. Gegenteilige insbesondere ältere Entscheidungen, die von einer Kenntnis des Nutzers von der Datenspeicherung im Cache ausgehen, sind aufgrund der technischen Entwicklung überholt. Der durchschnittliche Nutzer weiß im Zweifel daher nicht mehr, dass schon beim Betrachten von Bildern Daten im sogenannten Cache gespeichert werden (Vergleiche OLG Zweibrücken MMR 2016, 831, 832 f).

Dass der Angeklagte, der von sich unwiderlegbar behauptet, von den Bildern keine Kenntnis gehabt zu haben, solche überdurchschnittlichen Kenntnisse im PC Bereich hatte, ist nicht feststellbar. Der Nachweis wird letztlich im Hauptverfahren nicht zu führen sein so dass trotz der abscheulichen Bilder aus tatsächlichen Gründen eine Verurteilung nicht zu erwarten ist.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nicht einmal feststeht, dass der Angeschuldigte bewusst die inkriminierenden Bilder betrachtet hat. Im Zeitalter von Web 20 ist es jedermann problemlos möglich, Bilder ins Internet zu stellen. Hierdurch ist es auch möglich, Straftäter wider Willen zu generieren. Dies ergibt sich aus folgendem Szenario: Speichert beispielsweise ein x-beliebiger Straftäter Bilder kinderpornographischen Inhalts im Internet, beispielsweise bei Dropbox oder Amazon Cloud oder vergleichbaren Clouddiensten, so hat er die Möglichkeit, einen Link zu generieren und diesen dem Angeschuldigten zu schicken. Öffnet der ahnungslose Angeschuldigte dann diesen Link, so hat er die Bilder auf seinem Rechner und damit auch im Cache, ohne dass er überhaupt die Absicht hatte, derartige Bilder zu betrachten. Es ist hierdurch möglich jede x-beliebige Person zu Besitzern von kinderpornographischen Bildern zu machen. Da es auch technisch möglich ist, einen Link zu einem Verzeichnis mit einer Vielzahl an Bildern zu generieren, können auch entsprechen viele Bilder im Cache des Nutzers sein.

So könnte ein Straftäter jede x-beliebige Person allein dadurch zum Straftäter machen, indem er einen Link mit kinderpornographischem Inhalt an diese verschickt und diese irrtümlich ohne Kenntnis vom Inhalt den Link öffnen. Die Daten sind dann im Cache gespeichert und der Nutzer hätte kaum Möglichkeiten, diese Bilder zu entfernen, es sei denn, es verfügt über entsprechende Computerkenntnisse. Denn die Funktion von Microsoft „Datenträgerbereinigung“ löscht die Daten des Cache nicht mit der erforderlichen Sicherheit. Dies ist nur manuell möglich und verlangt tiefgreifende Kenntnisse über das Betriebssystem Windows, um überhaupt die Daten zu entfernen. Ein sicheres Entfernen geht nur über Spezialprogramme wie beispielsweise CC Cleaner, wobei nicht von jedermann verlangt werden kann, derartige Programme zu installieren.


Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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